Sehr geehrte Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,
viele Menschen sind in großer Sorge angesichts der Bedrohung des Friedens, der Sicherheit und der existenzgefährdenden Preiseentwicklungen. Auch in unserer Stadt treibt diese Sorge Woche für Woche viele Menschen auf die Straße. Der brutale Krieg gegen die Menschen in der Ukraine führt zu heftigen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft auch hierzulande.
Viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer haben Angst, manche haben auch Wut. Und ja, es gehört zu unserer Demokratie, sich lautstark Luft zu machen und seinen Ärger über die Arbeit der Regierenden auf der Straße zum Ausdruck zu bringen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind ein sehr, sehr hohes Gut.
Kein Verständnis haben wir aber dafür, wenn die große Not und die Angst der Menschen ausgenutzt werden, um die Stimmung gegen die parlamentarische Demokratie zu drehen. Ja zur Versammlungsfreiheit, aber ein ganz klares Nein zu rechtsextremer Stimmungsmache.
Es sind auch die sogenannten Freien Sachsen, die den demokratischen Rechtsstaat diskreditieren. Es sind Stadträte aus diesem Stadtrat, die die Legitimität von Regierung, Staatsgewalt oder Polizei öffentlich in Frage stellen. Es wird zum Sturm auf das „Systems“ geblasen – egal ob damit eine angebliche Impf-Diktatur oder Corona-Diktatur oder jetzt eine Gas-Diktatur gemeint ist.
Die katholische Probsteikirche hat genau dazu am traditionsreichen Ring in Leipzig ein großes und sehr richtiges Banner angebracht. „22 ist nicht 89 – wir leben in keiner Diktatur“ Wir leben in einer Demokratie. Ich kann nachvollziehen, dass das Vertrauen in die Demokratie bei vielen nicht ausgeprägt ist. Demokratische Verfahren sind häufig schwer verständlich. Gegensätzliche Interessen müssen in Ausgleich gebracht werden. Das ist für alle sehr anstrengend. Die erzielten Kompromisse sind oft auch nicht zufriedenstellend. Aber wenn martialische Schauprozesse gegen Bundesminister inszeniert werden, wenn die Stimmung immer weiter angeheizt wird, um sie zur Eskalation zu bringen, empfinde ich das als bedrohlich für unsere Demokratie. Niemand kann Ausschreitungen wollen. Aber 2018 haben wir diese in Chemnitz erlebt.
Jetzt meinen Manche, man solle die Instrumentalisierung der aktuellen Proteste in unserer Stadt durch Demokratiefeinde nicht laut ansprechen, um in der sowieso schon angespannten Situation nicht noch mehr zu polarisieren. Aber gerade als BÜNDNIS 90 können wir dazu nicht schweigen. Und wir begrüßen es auch, dass der Oberbürgermeister sich hier positioniert hat. Und ich appelliere eindringlich auch an alle anderen hier, nicht mehr dazu zu schweigen. Niemand muss mit Rechtsextremen demonstrieren, um gehört zu werden.
– es gilt das gesprochene Wort –
Fraktionserklärung des Co-Vorsitzenden, Volkmar Zschocke zur Stadtratssitzung am 12.10.2022